Aus Liebe zum Laufen

Aus Liebe zum Laufen

Donnerstag, 25. Juni 2015

Endstation Erdbeerlolli

,,Entschuldigen Sie bitte? Da ist so ein klitze kleiner Fleck auf dem Schuh, also wenn sie ganz nah ran gehen, da unten am Rand, da wo man es eigentlich nicht sieht. Kann man da noch was am Preis machen?" Mit diesem Satz hätte die Kundin es vielleicht versuchen sollen, stattdessen drückt sie mir den noch feuchtwarmen Schuh, den sie gerade stundenlang anprobiert hat ins Gesicht und sagt schroff:,, Da ist voll der Fleck auf dem Schuh, dafür bezahle ich nicht so viel Geld, für 20 Euro weniger nehme ich ihn vielleicht!" Ich seufze, lächle freundlich und bringe der Kundin ein neues Paar Schuhe. Noch bevor sie an diesem Schuh auch etwas gefunden hat was ihr nicht passt, habe ich den Laden schon verlassen. Feierabend. Man sagt doch immer man soll seine Probleme von der Arbeit nicht mit nach Hause nehmen. Also die Frau lass ich guten Gewissens zurück. 
Mit meiner Sporttasche und meiner Kollegin Denise im Schlepptau geht es ab nach Düsseldorf zum B2Run. Nach Düsseldorf selbst ist es nicht weit, aber der Weg bis zur Esprit-Arena zieht sich in die Länge. Nach und nach steigen Leute mit Startnummern in die Bahn ein. Gut wir sind schon mal richtig. An der Arena angekommen treffen wir sämtliche Görtz-Mitarbeiter aus der Region und die Geschäftsführung aus Hamburg. Sie alle laufen mit. Wir stellen einander kurz vor und gehen zusammen zum Eingang der Arena. Dort werden unsere Taschen einzeln durchsucht ob wir auch ja keine Waffen, Drogen, Bomben, Walking Stöcke usw. dabei haben. Das dauert, schließlich wollen mindestens 9.000 Menschen in die Arena. Wir schlängeln uns durch die Leute bis zur Garderobe durch, geben unsere Taschen ab und machen uns startklar. Wir haben nicht viel Zeit, schnell zwei Fotos geschossen und dann stehen wir auch schon im Startblock. Wir machen uns bereit, doch statt dem Startschuss hören wir nur ein ,,Wuhuuu, seid ihr auch alle gut drauf?" Nein, bitte nicht! Auf einer kleinen Hebebühne wird eine noch kleinere Fitness-Tante aufgefahren. Fröhlich hüpft sie auf und ab, macht Hampelmänner und quiekt munter in ihr Mikrofon. Und alle hüpfen mit! Nicht. 
Die Läufer stehen eng beieinander und schauen sich ratlos an. Manche versuchen ein bisschen mitzuhüpfen, aber es ist so voll, man kann sich ja kaum um die eigene Achse drehen. Also lassen sie es lieber. Die Tante ruft den Zuschauern zu sie sollen uns doch zu jubeln. Die fünf Leute die am Rand stehen schauen etwas unbeholfen, zucken mit den Schultern und klatschen ein zwei mal in ihre Hände. Gut, das war wohl nichts. Ein bisschen tut sie mir ja leid. 
Endlich wird runtergezählt und der Startschuss fällt. Wir laufen los und es folgt ein dichtes Gedränge und Geschubse. Ich ignoriere das und laufe ganz entspannt, soll ja Spaß machen so ein Lauf.
Es geht 6,1 Kilometer am Rhein entlang. Es ist kühl und ein bisschen diesig. Das perfekte Laufwetter wie ich finde. Die Zeit vergeht schnell und eh ich mich versehe stehe ich wieder in der Arena im Ziel. Ich frage mich ob schon welche von unserem Team da sind und gehe zu unserem abgesprochenen Treffpunkt. Zwei Kollegen aus Aachen und der Geschäftsführer von Görtz sind schon da. Wir unterhalten uns kurz, trinken ein alkoholfreies Bier und trennen uns dann auf dem Weg zur Garderobe. Garderobe klingt so nett. In Wirklichkeit gab es die gar nicht und ich quetschte mich mit meiner Tasche in eine Toilette.
Wieder in der Arena angekommen, sind auch schon die anderen Kollegen da. Ich organisiere einen Bündel Teilnehmermedaillen und verteile sie an alle. Wir müssen noch auf den Rest der Truppe warten und verfolgen währenddessen die Siegerehrung. Die schnellsten Azubis werden geehrt. Die Drittschnellste hat 30 Minuten gebraucht. Momentchen Mal! Ich habe 29 Minuten gebraucht. Mein Name wird nicht genannt.
,,Man konnte bei der Anmeldung gar nicht angeben, dass Sie Auszubildende sind! Das tut mir leid!" Meine Kollegin schaut mich enttäuscht an. ,,Alles gut, das macht nichts!", sage ich lächelnd. Wer braucht schon einen Urlaubsgutschein. Gerade als wir gehen wollen sagt Mr. Görtz zu mir :,,Wissen Sie was? Sie bekommen von mir ein paar Laufschuhe geschenkt und nächste Woche lade ich Sie nach Hamburg ein und dann laufen Sie mit uns da noch mal den B2Run!"
Mein Lächeln wird breiter. Ja, damit kann ich wohl leben!


Mit dem Taxi fahren wir alle zusammen in ein Brauhaus und lassen uns die leckersten Sachen schmecken. Ich bestelle mir einen großen Salat mit Rote Beete und Pilzen. Super!
Als mein Bauch voll und es schon recht spät ist, verabschiede ich mich von allen. Schließlich muss ich am nächsten Morgen zur Schule.
Meine Kollegin sagt mir, dass der Zug der nach Aachen fährt, in Köln halten würde. Prima, denn gerade als ich am Hauptbahnhof in Düsseldorf ankomme, fährt ein Zug Richtung Aachen ein. Ich steige ein, lasse mich auf einen Sitz fallen und lasse den Tag Revue passieren. 
Eine halbe Stunde später wunder ich mich, dass die Ansage noch nicht einmal Köln erwähnt hat. So langsam müsste ich doch da ankommen. Statt Köln wird ein Ort genannt den ich noch nie gehört habe. Auf dem Platz gegenüber sitzt ein Typ, den frage ich. ,,Nach Köln? Nein der fährt jetzt nach Aachen durch, um halb eins sind wir da!" Okay keine Panik. Aachen. Ich wohne aber in Köln! Mein Handy hat nur noch 7% Akku. Okay Panik! War ja klar. Das Datenvolumen ist natürlich auch aufgebraucht. Mit schwachem GPS-Signal finde ich heraus, dass der nächste Zug von Aachen nach Köln um halb vier fahren würde. Na toll, so etwas passiert auch nur mir! Noch 4% Akku.
Glücklicherweise wohnt mein Bruder in Aachen in der Nähe vom Hauptbahnhof. Peinlich berührt rufe ich ihn an und erzähle ihm was passiert ist. Nach einem zwei Minütigen Lachen, 5 Mal ,,Nein, echt jetzt?" und 10 Mal ,,Ach Katharina!", bietet er mir dann an zu sich zu kommen um auf den ersten Zug nach Köln zu warten.
Und das mache ich dann auch. Seine Freundin hatte mir Bettzeug und einen Cola-Lutscher auf das Sofa gelegt und so erschöpft wie ich bin schlafe ich auch direkt ein. Nach zwei Stunden Powernapping, schäle ich mich aus der Bettdecke, nehme meinen Lolli und schleiche zur Wohnungstür. Bevor ich die zu ziehe, flitze ich noch einmal in die Küche zum Süßigkeitenschrank. Ich mag lieber Erdbeergeschmack.
Mit dem Lolli im Mund spaziere ich durch die leeren, dunklen Straßen von Aachen und setze mich am Hauptbahnhof in den Zug nach Köln.
Die Fahrt dauert eine Ewigkeit und ich schrecke immer wieder hoch, weil ich nicht einschlafen will. Um halb sechs bin ich dann endlich zu Hause. Ich schlüpfe zu meinem Freund unter die Bettdecke und wärme mich auf.
In 25 Minuten würde mein Wecker klingeln.

Sonntag, 21. Juni 2015

We are the Sun

,,Sorry, wartet ihr schon lange?", ich kletter auf die Rückbank von Julias kleinem Auto, ,,Nein, alles gut, wir haben noch ein Eis gegessen!" Klar was macht man auch sonst um 22 Uhr.
Ich schiebe meine Sporttasche neben mich und bemerke ein paar lange, dünne Finger in meinem Gesicht. Ich ertappe mich dabei wie ich erschrecke, als diese Finger anfangen zu sprechen ,,Hi, ich bin Nikki!" Ich schiele zum Beifahrersitz und sehe in das strahlende Gesicht eines jungen, rothaarigen Mannes.  
Es dauert nicht lange bis das Eis gebrochen ist. Nikki ist ein Läufer! Einer von der ganz schnellen Sorte. Er kommt aus Schottland und ist Sportlehrer. Außerdem hatte er Julia versprochen uns am morgigen Tag beim EVL-Halbmarathon in Düsseldorf zu begleiten, damit wir die 21,1 km unter zwei Stunden schaffen.
Und, das ist wohl das tollste, Nikki ist Asics Frontrunner. Ich habe mich schon im Voraus aufrichtig für die vielen Fragen beim ihm entschuldigt. Während Julia uns allen Pasta mit Gemüse und Tomatensauce zaubert unterhalten wir drei uns angeregt über die Frontrunners. So angeregt, dass wir die Zeit vergessen. Als wir bemerken wie spät es ist, legen wir schnell noch unsere Outfits für den Wettkampf zurecht, wünschen uns eine gute Nacht und schlüpfen unter die Decke. Wecker auf Fünf Uhr, Puh!
Vier Stunden später, wobei ich schwören könnte es waren nur vier Minuten, drehe ich mich in Julias 5-Meter-Boxspringbett zu ihr um und schiebe ein Auge nach dem anderen auf. Natürlich ist das Bett auf ihrer Seite schon perfekt gemacht und niemand liegt drin. Also schleppe ich mich aus dem Zimmer und folge dem warmen Duft von Brötchen in der Küche. ,,Möchtest du Kaffee? Ich mag morgens am liebsten Marmelade und Honig auf dem Brötchen, ist das ok für dich?" Man beachte das Zielfoto unten, ich verspreche euch, genau SO hat sie mich dabei angeschaut!
Ich bin begeistert, die kurze Nacht ist schnell vergessen. Nach dem Nikki sich dann auch mal vom Sofa lösen konnte, hauen wir uns die Bäuche voll und machen uns fertig für den Lauf. Kurze Zeit später sind wir auf der Autobahn auf dem Weg nach Düsseldorf. Nikki dreht die Musik auf und wir versuchen uns noch ein wenig zu entspannen und den Kopf frei zu bekommen. Mein zweiter Halbmarathon. Ein bisschen Herzrasen hab ich schon.
Julia hatte unsere Startunterlagen schon ein paar Tage vorher besorgt, deswegen können wir die Zeit bis zum Start damit verbringen, gefühlt 100 mal auf die Toilette zu gehen, weil wir so unfassbar aufgeregt sind. Als der Startschuss immer näher rückt, gehen wir ein letztes Mal zum Auto um unsere Jacken weg zu bringen. ,,Ich hab noch eine Kleinigkeit für euch", sagt Nikki und hält uns zwei blaue Sonnenbrillen hin. Jeder der Nikki kennt weiß, dass er bei jedem seiner Wettkämpfe eine grüne Sonnenbrille trägt, passend zu seinem immer grünen Lauf-Singlet.

Julia und ich freuen uns und scheren uns nicht eine Sekunde darum, dass die Sonne ja gar nicht scheint. Wen interessiert es ob wir was sehen können. Hauptsache wir sehen cool aus! 
Noch schnell auf das ,,geliebte" Dixi-Klo und dann ab in die Meute!
Meute ist untertrieben, sagen wir die ganze Welt hat sich versammelt um einer Apokalypse zu entkommen. 
Wir bekommen gar nicht mit, dass der Startschuss fällt, wir sind viel zu sehr damit beschäftigt einen Platz in der Menge zu finden. Wir drängen uns immer weiter rein. Allmählich kommt Bewegung in die Sache und ich muss aufpassen, dass ich Julia und Nikki nicht verliere. Wir traben los und nach 500 Metern schaut Nikki auf seine Uhr und verkündet stolz ,,Wir sind gut in die Zeit Ladies!" Ich grinse, ja er nimmt seinen Job als Pacemaker sehr ernst! . 
Die ersten fünf Kilometer laufen wir locker durch. An der Strecke stehen so viele Menschen, ich bin viel zu sehr beschäftigt mit gucken und jubeln. Ja ich weiß, ich soll laufen und nicht rumhampeln. Papa schimpft immer, dass mich das zu viel Zeit kostet. Aber mal ehrlich, das soll hier doch Spaß machen, oder? Und wer zwei Stunden für einen Halbmarathon braucht, der hat auch noch die ein oder andere Sekunde zum winken übrig!
Ich warte die ganze Zeit darauf, dass sich das Feld auseinander zieht, aber es sind so viele Leute auf der Strecke, dass man permanent von einem kleinen Pulk von Läufern umschlossen ist. Es wird ganz ruhig. Da ruft plötzlich jemand ,,Na los Prinzessin!" Dieser jemand ist in Julias Laufverein und zieht mit langen Schritten an uns vorbei. 
,,10 km unter einer Stunde, sehr gut Ladies! Julia, du sollst nicht gucken auf die Uhr!"
Während Nikki mit Julia schimpft, weil sie immer wieder auf die Uhr schaut, nutze ich die Gelegenheit und schiele heimlich auf meine. Die Zeit ist super, wenn wir so weiter machen, schaffen wir es locker unter 2 Stunden. 
Ich fühle mich noch erstaunlich gut. Ein Blick von Julia zeigt mir, sie auch.
 Zwischendurch organisiert uns unser Pacemaker an den Verpflegungsstationen etwas zu trinken. Das tut gut. Gummibärchen gibt es auch. Nikki genießt es sichtlich mal zwischen den vielen Läufern zu sein, statt vorne an der Spitze, wie er so schön sagt, weg zu ballern.
18 Kilometer sind geschafft. Wir drei sind richtig schön im Flow, da bemerkt Julia, dass uns bei Kilometer 19 noch ein gemeiner Berg erwartet. Also Pobacken zusammen kneifen und rauf da! Diese Steigung hat es ganz schön in sich. Puh! Als ich merke, dass alle sehr langsam joggen mache ich zwei große Schritte im Gehen. Doof von mir. Denn unserem Sportlehrer bleibt das nicht unbemerkt. ,,Heb die Füße!" Ja Chef! Hoch die Füße, rauf den Berg.
Oben angekommen, atmen wir erleichtert durch und stehen gleich vor einer Verpflegungsstation. Wir bleiben kurz stehen und trinken so viel wie wir nur können. Gestärkt laufen wir weiter. Nur noch zwei Kilometer und wir haben es geschafft! Wenn man schon 19 Kilometer hinter sich hat, kommen einem zwei wie ein Witz vor. Wir lassen uns einfach nur rollen und genießen die Stimmung, denn an der Strecke stehen nun auch wieder mehr Zuschauer die uns zujubeln. 
Die Meter fliegen unter uns hinweg. Hinter der nächsten Kurve ist das Ziel. Die letzten Meter gehen leicht bergab. Jemand ruft ,,Nikki, du Gentleman," und macht ein Foto. 
Nikki greift nach unseren Händen, reißt sie hoch und wir schweben strahlend vor Glück und Erleichterung über die Ziellinie.
2:03:33 h. 
Wir haben unser Ziel vielleicht nicht ganz erreicht, aber wir hatten eine Menge Spaß zusammen, hatten viel zu lachen und gelohnt hat es sich allemal! 
Wir fallen uns glücklich in die Arme. Geschafft!
Das wird nun mit einem kühlen Getränk und einer schönen Pommes gefeiert!

Montag, 8. Juni 2015

Man kann nicht immer gewinnen

Dieses Jahr habe ich es leider nicht auf das Siegertreppchen geschafft. Nun gut was will man bei solchen Zeiten erwarten?
Aber  ganz egal ob man ein Hobbyläufer ist der 24 Minuten braucht oder ein Profiläufer ist der das Ding in 16 Minuten vernascht, man weiß nie was kommt. Und vor allem wer kommt. Da wiegt man sich in absoluter Sicherheit, sieht sich schon auf dem Treppchen stehen und dann bauen sich da die Schnellsten der Schnellen vor dir auf. So wenig wie möglich an, damit man auch nicht einen Muskel an ihrem Körper verpasst, zuppeln ihre Startnummer zurecht damit der Sixpack auch frei liegt, rücken ihre 200 Euro Sonnenbrille gerade, die der Kopfform natürlich optimal angepasst wurde und dann, und das ist wohl das Einzige an ihrer Ausstattung das etwas wiegt, geht das Gepiepse auf ihrem überdimensionalen Bordcomputer los damit sie während des Laufs auch ja nichts verpassen! Pace, Zeit, Geschwindigkeit, Kalorienverbrauch, Trittfrequenz, Herzfrequenz, Luftdruck, Temperatur, Eisprung... und dann geht es los. Der Startschuss fällt und die Gazellen fliegen davon. Ich stehe immer noch vollkommen irritiert in ihrer Staubwolke und versuche meinen Husten zu kontrollieren. Nun setzen sich auch meine Beine in Bewegung. Links, rechts, links, rechts, na das klappt doch ganz prima und das ohne den ganzen Schnick Schnack!
Ein paar hundert Meter weiter steht Papa an der Strecke, er begleitet mich während des Laufes um mich ein bisschen zu ziehen oder vielleicht auch um mich vom Asphalt zu kratzen, falls ich die Hitze nicht überlebe. Wahnsinn ist das warm! Ich kneife die Augen zusammen, so eine super Sonnenbrille wäre jetzt nun wirklich nicht verkehrt, ich sehe kaum etwas. Moment mal! Ist das nicht mein T-Shirt? Und der Typ der da drin steckt, ist das nicht mein Freund? Wann ist der denn schneller geworden als ich? Oder bin ich langsamer geworden? Wie sich später rausstellte.. beides war der Fall.
Wir laufen durch Sandhügel, ein paar Meter über eine Bahn und dann durch den Wald und dann wieder über einen Parkplatz auf die Straße. Wären nicht so viele Läufer um mich herum hätte ich schwören können ich hätte mich verlaufen.
Papa läuft gemütlich die Zeit die ich laufen sollte, also weit vor mir. Ab und zu lässt er sich zu mir zurück fallen und jammert:,, Du musst schneller werden, allmählich wird mir langweilig!"
Keuchend versuche ich ihn in die Seite zu boxen, aber Kraft ist für meine Ärmchen im Moment ein absolutes Fremdwort. Schneller werden? Ich weiß ja gar nicht wie schnell ich gerade bin und bei welchem Kilometer wir sind weiß ich auch nicht. Papa will mir das ja nicht sagen. Sowas beklopptes! Wo sind die Flitzepiepen mit ihren Zeitmaschinen?
Ich schaue an mir runter und sehe meinem Bauch zu wie er im Takt mit schwingt. So ein paar Muckis könnte ich schon vertragen. Wenn ich könnte würde ich seufzen, aber dafür fehlt mir der Atem.
Vor mir bleibt ein Typ in meinem Alter stehen, verschnauft, rennt wieder los und voll in mich rein. Na toll, der Lauf ist für mich mehr als gelaufen.
Als ich aufs Ziel zu laufe ist Papa schon längst verschwunden und ich kämpfe mich die letzten paar Meter durch.
Meine Zielzeit weiß ich nicht mehr, denn ich habe weder auf die Uhr geschaut noch tauche ich auf der Ergebnisliste auf. Ganz so als hätte ich bei diesem Lauf nie existiert. Aber wer weiß wofür das gut ist!

Samstag, 6. Juni 2015

Heiße Suppe & Siegertreppchen


Ich kann nicht klar denken. Meine Gedanken rasen an mir vorbei, verursachen Chaos in meinem Kopf. Ist meine Haltung ok? Sind meine Schritte groß genug? Wieso tue ich das hier überhaupt? Der Schweiß läuft mir in die Augen. Kein Wunder, dass man mich in der Schule wegen meiner großen Stirn gemobbt hat, unglaublich was sich da alles ansammeln kann.
Ich kneife die Augen zusammen, das gleißende Licht der Sonne macht es mir kaum möglich geradeaus zu schauen. Meine Beine schmerzen. Ich schalte auf Autopilot die machen das schon. Ich konzentriere mich auf meinen Atem. Die Hitze schnürt meine Lunge zusammen. Wo sind denn nur alle? Ich kann vor mir weit und breit niemanden sehen. 
Ein paar Meter weiter tauche ich unter den Schatten von Bäumen unter. Ich atme tief durch, aber viel kühler ist es hier auch nicht.
An der nächsten Kurve steht eine Frau die fröhlich ruft:,, Toll! Sie sind die dritte Frau!"
Wie bitte? Mit meinen Amateurzeiten? Niemals. Die gute Dame hat sich verzählt. 
Noch vor zwei Wochen lief ich die 5 km in Refrath in 26 Minuten. Ich bin eben eine blutige Anfängerin. Niemand der jetzt schon auf dem Treppchen steht.
Mit meinem Handrücken wische ich die heiße Suppe von meiner Stirn und scheuche mich selbst weiter voran. Wieder stehen am Rand Streckenposten und wieder rufen sie:,, Wow! Die dritte Frau!" Ich drehe mich um, aber ich seh niemanden hinter mir! Meinen die wirklich mich? Das muss ein Irrtum sein.
Die Kraft in meinen Beinen lässt mich im Stich. Die Hitze macht mir zu schaffen. Ein Mann holt mich ein und motiviert mich nicht schlapp zu machen wir hätten es schon bald geschafft. 
Der letzte Kilometer ist ein einziges Wirrwarr aus Kurven. Nach jeder glaubt man am Ziel zu sein. Man hört schon die Menschen, sieht aber nichts. Und dann. Geschafft! Ich sehe das Ziel und versuche mich ein letztes Mal zusammenzureißen. Am Rand steht Papa und wedelt mit den Armen. Was ruft er da? Er winkt mit den Armen Richtung Uhr und als ich ihnen folge, traue ich meinen Augen nicht, 24:20 Minuten! ,,Wie geil ist das denn?" Die Leute am Ziel drehen sich zu mir und jubeln. Habe ich das etwa laut gesagt? Habe ich.
Lachend und mit aller Energie die ich noch aufbringen kann, renne ich bei 24:32 Minuten über die Ziellinie. War ich doch die dritte Frau? Wahnsinn.
Vollkommen erschöpft lege ich mich auf die Wiese und trinke so viel ich nur kann. Papa ist als nächstes dran. Während ich auf die Siegerehrung warte startet er bei dem 10 Kilometer-Lauf. 
Und dann ist es soweit. Nach dem ich mich frisch gemacht und umgezogen habe, gehe ich zur Bühne und sehe mir die Siegerehrung an in der Erwartung jeden Moment meinen Namen zu hören. Die ersten drei Männer werden geehrt, nun sind die Frauen dran. Die erste Frau taucht nicht auf, dann kommt die Zweite und die....Dritte. Ich stehe vor der Bühne und lasse mich zurück auf die wackelige Bierbank fallen. Aber ich dachte... nun gut. Die Damen auf der Strecke haben sich wohl wirklich vertan.
Ich gehe zurück zum Ziel und empfange meinen Papa, der trotz der Hitze auch eine neue Bestzeit und den ersten Platz in seiner Altersklasse erzielt hat. Super! Ich bin stolz auf ihn. 
Zu Hause angekommen feier ich mit meinem Freund und einer großen Pizza meinen vierten Platz und meine neue Bestzeit nichtsahnend, dass die erste Frau die bei der Siegerehrung nicht auftauchte, ein 16-Jähriger Junge war. 

Das ist nun genau ein Jahr her. Jeder der schon mal an einem Wettkampf teilgenommen hat wird wohl nachvollziehen können wie traurig es ist, wenn man bloß wegen eines Missverständnisses nicht an der Siegerehrung teilnehmen darf. Doch was nützt mir mein Gejammer? Das macht mich auch nicht schneller. 
Also habe ich trainiert und trainiert und ich sage euch. Morgen, wenn dieser Lauf wieder stattfindet, werde ich antreten und ich werde alles dafür geben um wieder unter die ersten Drei zu kommen und dann bekomme ich meine Siegerehrung!