Aus Liebe zum Laufen

Aus Liebe zum Laufen

Dienstag, 29. September 2015

P- beWEGt


Mein zweiter P-Weg.
Vor ziemlich genau einem Jahr bin ich in Plettenberg meinen ersten Halbmarathon gelaufen. Den P-Weg. 21,1 km und 540 Höhenmeter. Der reinste Wahnsinn für eine blutige Anfängerin die zuvor nie weiter als 5 km gelaufen war. Damals habe ich für die Strecke 2:23:42 gebraucht. 2 Stunden, 23 Minuten und 42 Sekunden in denen meine Gefühle eine wahre Achterbahnfahrt durchlebten. Von Wut über Enttäuschung bis hin zur Verzweiflung habe ich alles empfunden nur damit mich am Ende das große Glück übermannte und ich lachend, mit Tränen in den Augen ins Ziel kam.
Ja, ich war vollkommen unvorbereitet, wusste nicht was mich erwarten würde. Dieses Jahr war das anders. Ich hatte viel trainiert, kannte die Strecke und war mir sicher ich würde das Ding locker rocken. Die Tatsache, dass ich im Rheinland nur im Flachen trainieren konnte, habe ich bis zu jenem Tag immer abgewunken. Meine Beine sind stark, ich schaffe das, habe ich gesagt.
Nun war es so weit. Ich holte meine Startunterlagen ab und kaufte mir in der Cafeteria nebenan einen Tee. Der tat unglaublich gut, denn draußen war es kalt und es regnete. Der dicht bewölkte, graue Himmel machte einem wenig Hoffnung auf Besserung. Die Marathonläufer taten mir leid, sie waren schon seit einer Stunde unterwegs. Der Weg im Wald wird rutschig sein.
Ich stöberte ein bisschen in dem Jutebeutel, den man mir bei der Startnummernausgabe gegeben hatte. Eine Flasche Wasser, Werbung, Werbung, Pflaster, Werbung, oh Pferdesalbe, wie praktisch! Werbung und ein Päckchen Magnesium. Ah, eine Trillerpfeife. Klar, die ist das wichtigste beim Laufen. Wer seine Nase frei machen muss, pfeift kurz und der Hintermann hat noch eine Chance dem Schnodder auszuweichen. Clever!
Ich schlürfte meinen Tee gerade aus, als mir eine Hand auf die Schulter klopfte:,, Na Kröte!" Papa war auch schon da und stellte mir Freunde von seinem Lauftreff den Spri(n)tis vor. Ein netter Haufen Läufer die jeden Kilometer mit einem Gläschen Sekt begießen. Macht Sinn, ich laufe schließlich auch nur so viel, damit ich auch viel Schokolade essen kann!
Während die einen Löcher für Kopf und Arme in Müllsäcke schnibbelten, schmierten Papa und ich uns mit Melkfett ein. Den Sinn dahinter weiß ich nicht mehr, aber ich glaube das war, damit der Regen von uns abperlt.
Die Läufer wurden im Start nach Nummern sortiert. Meine Startnummer war vierstellig. Wer denkt sich denn sowas beklopptes aus? Papa und ich taten so, als hätten wir das nicht gesehen und stellten uns weiter vorne hin. Noch ein paar Interviews mit den Favoriten, eine Tanzeinlage von ein paar Zumbamäusen und dann fiel auch schon der Startschuss.
Der erste Kilometer ging noch durch die Stadt, dann folgte ein steiler Berg der in den Wald hineinführte. Die Steigung klammerte sich förmlich um meine Oberschenkel. Auch als der Weg gerade wurde spürte ich noch die Anstrengung und hatte das Gefühl kaum vom Fleck weg zu kommen. Wir passierten rasch die erste 5 km Marke. Obwohl ich mir vorgenommen hatte auf der ersten Hälfte bei keinem Verpflegungsstand anzuhalten, holte ich mir schon beim ersten einen Becher Wasser.

Ich lief weiter und es fühlte sich an als würde es nur bergauf gehen. Selbst die geraden Strecken wurden zur Tort(o)ur. Meine Beine meckerten über jeden Anstieg und die Luft die ich krampfhaft versuchte einzuatmen erschien mir so unfassbar dünn. Ich war noch nicht mal bei der Hälfte und fing jetzt schon an zu kämpfen. ,,Ich dreh um!," dachte ich ,,Das macht doch alles keinen Sinn!" Ich ging ein paar Schritte und konnte nicht fassen, dass ich so kraftlos war. Wo war das ganze Training hin? Innerlich stritt ich mit mir. Umdrehen, weiterlaufen, kämpfen, aufgeben. Ich hätte mich am liebsten auf den Boden gesetzt, die Augen zugemacht und gewartet, dass mich jemand abholen kommt. Ich schüttelte mich, sah nach vorne, versprach mir selbst nicht zurück zu schauen, um auch ja nicht auf dumme Gedanken zu kommen, biss die Zähne zusammen und lief weiter. Aufgeben? Wo sind wir denn hier? Ich gebe doch nicht auf! So etwas gibt es bei mir nicht. So lange ich noch zwei gesunde Beine habe, werde ich in dieses Ziel laufen. Ganz egal wie lange ich brauchen werde. Und ich war mir sehr sicher ich würde langsamer sein als im Vorjahr. Ich lief und lief und konzentrierte mich auf die Bäume und die Sonne die ab und zu durch die dunklen Wolken durchblitzte. Erst da fiel mir auf, dass es schon lange nicht mehr geregnet hat. Kurz vor Kilometer 10 lief ich in ein Tal in dem Hunderte von Menschen warteten, jubelten, klatschten und unsere Namen riefen. Was wäre dieser Lauf nur ohne sie. Ich genoss den Moment und vergaß für einen kurzen Augenblick meine Schmerzen.
,,Alles okay?" Ich schaute in das Gesicht einer besorgten Frau. Offensichtlich, sah ich schon so aus wie ich mich fühlte. ,,Alles bestens!," log ich und versuchte freundlich zu lächeln. Während ich meine trockenen Lippen von den Zähnen schob, quatschte mich ein Läufer von der Seite an ,,Puh, der Berg war hart! Kommt da noch einer?" Einer? Süß. ,,Spar dir deine Energie! DER Berg kommt noch!"
Und er kam. Der Berg der mich im letzten Jahr die meisten Nerven gekostet hat. Er ist nicht besonders steil oder so. Aber er zieht sich in die Länge. Immer wenn man dachte ,,Jetzt ist aber mal Schluss!", ging es weiter hoch hinaus. Und so war es dann auch. Die nächste Stunde verging wie in Zeitlupe. ,,Es würde an ein Wunder grenzen, wenn ich das Ziel unter zweieinhalb Stunden erreichen würde", dachte ich. Ich stellte mich schon darauf ein, die Besenpferde hinter mir zu hören.
Die letzten drei Kilometer wurde ich erlöst. Es ging auf einem schmalen Pfad bergab. Der Boden rutschte unter mir weg und ich musste mich konzentrieren nicht hinzufallen. Der letzte Kilometer ging dann wieder durch die Stadt und ich machte große Schritte, weil ich einfach nur noch ankommen wollte. Die Leute klatschten und ich bemerkte bei jedem Auftreten ein unangenehmes Ziehen im Oberschenkel. Ich ignorierte es und lief weiter. Die letzten Meter. Geschafft! Nach 2 Stunden 16 Minuten und 17 Sekunden überquerte ich die Ziellinie und stand kurz darauf auf der Bühne. Der Moderator schaute mich sehr mitleidig an. Da bemerkte ich erst, dass ich weinte. Ich ging über die Bühne, ließ mir eine Medaille und ein Finisher Shirt geben. Papa kam direkt auf mich zu und ich ließ mich wie ein kleines Kind in seine Arme fallen und weinte. Auch wenn man es jetzt kaum glauben mag, aber vor Freude!
Papa und ich liefen zum Auto, als ihm seine Urkunde aus der Tasche fiel. Ich versuchte mich zu bücken, genau so wie der Mann neben mir. Und während wir so in Zeitlupe auf dem Boden rum krochen, schauten wir uns an und fingen laut an zu lachen. Zwei Senioren mit Rollator waren gar nichts gegen uns.
Die Muskelzerrung in meinem Oberschenkel, klingt heute noch, drei Wochen später, nach.

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