Aus Liebe zum Laufen

Aus Liebe zum Laufen

Dienstag, 17. November 2015

Kompanie, lauft!

Nach einer sechs Wöchigen Laufpause und zwei Monaten ohne Wettkämpfe, freute ich mich wahnsinnig auf den Bonner Herbsthalbmarathon.
Zwar war ich nicht in Topform, aber ich vermisste es. Die vielen Läufer, die Startnummer, die meinen Schokoladen-Bauch versteckt, die Aufregung, der Zieleinlauf, der warme Kuchen danach. Herrlich. Munter packte ich meine Tasche und zählte die Minuten bis Papa mich abholte.
Es ging von Köln nach Bonn. Kein sonderlich weiter Weg und Samstags Früh war erst recht nicht viel auf den Straßen los.
Als wir bei der Sportanlage ankamen, sah ich einen Soldaten mit Warnweste, der uns den Weg wies. Okay, die fahren ja große Geschütze auf, dachte ich. Zu dem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass dieser Lauf von Reservisten veranstaltet wird. Ich stieg aus und platschte mit meinen Laufschuhen in eine Matschpfütze. Die alten Treter waren eh überfällig. Ich schüttelte meine Füße und ging mit Papa zur Startnummernausgabe.
Wir hatten noch nicht eine Stufe getan, da rief der Soldat, der unten am Treppenabsatz saß, schon zu uns herauf :,,Hier! Ausfüllen!" Er schob zwei Formulare in unsere Richtung. Was ein fröhlicher alter Kauz. Ich lachte, wenn auch ein wenig verängstig und ging zügigen Schrittes auf den Tisch zu. Name, Geschlecht, Jahrgang. Das wars. Kein Verein. Kein Geburtsdatum, Keine Adresse. ,,Leserlich schreiben!" Ich sah wie Papa neben mir in Zeitlupe Buchstaben malte. Er zitterte. Ohje, fang bitte nicht an zu weinen.
Wir kicherten, als wir zurück zum Auto gingen und waren erstaunt über die Einfachheit dieser Veranstaltung.
Fünf Minuten vor dem Startschuss, beschloss Papa sich noch schnell einzulaufen. Klar was sonst. Ich wartete und lauschte den Anweisungen des Soldaten mit seinem Megafon. ,,Wenn Sie eine Straße überqueren, laufen Sie nicht vor ein Auto. Wir stehen zwar an der Straße, aber wir halten Sie nicht auf. Wenn Sie kein Schild sehen, laufen sie geradeaus. Die Kilometer sind nicht markiert. Sie laufen solange bis Sie wieder hier ankommen. Wer aussteigt, sagt Bescheid, wir haben keine Lust einen Suchtrupp los zu schicken!"
Keine Ahnung wieso, aber dieser rundliche General, mit seinen viel zu kurzen Armen, war mir sehr sympathisch.
Wir versammelten uns alle am Start und hämmerten auf unsere Laufuhren ein. Manch einer suchte noch nach einem GPS-Signal, da wurde plötzlich ein Schuss abgefeuert. Das Uhrengepiepse verstummte. Die Läufer in der ersten Reihe zuckten. Einer von ihnen fragte verunsichert :,,War das der Startschuss?" Der Soldat brüllte ihn an:,, Das läuft hier nach meiner Uhr!" 
Die Läufer stürmten los. Ich lachte und hörte Papa jetzt schon über die verlorenen Fünf Sekunden schimpfen.
Ich ging es langsam an, weil ich nicht einschätzen konnte wie viel Kraft und Ausdauer ich zur Zeit hatte, also genoss ich die Umgebung und die kühle Morgenluft. Die Strecke führte die meiste Zeit durch den Wald, über Asphalt oder Laubbedeckten Waldboden.
Die ersten drei Kilometer vergingen wie im Flug und ich fand meinen Rhythmus. Die schnellen Läufer vor mir waren längst aus meiner Sichtweite und auch hinter mir hörte ich keine Schritte mehr. Ich war mittlerweile bei Kilometer Vier angekommen und stellte fest, dass ich vollkommen alleine war. Alles was ich sah, waren Bäume und der graue Himmel über ihnen. Alles was ich roch, war feuchtes Laub und alles was ich hörte, war mein Atem und der dumpfe Aufprall meiner Füße. Sonst war da nichts. Erst bekam ich die Sorge, dass ich mich verlaufen hatte. Schließlich war die Strecke nicht mehr als nötig mit winzig kleinen Pfeilen markiert und noch nie hatte ich es erlebt, dass ich keinen Läufer mehr um mich hatte. Doch die Freude auf den Lauf nahm mir meine Sorge. Es war einfach viel zu schön. Ich verlaufe mich jedesmal, wenn ich eine neue Strecke erkundschafte und jedesmal finde ich auch wieder zurück. Also lief ich weiter und hing meinen Gedanken nach. Die Minuten verstrichen, da fuhr ein Soldat auf seinem Fahrrad neben mir her. Ich erschrak :,, Bin ich die Letzte?" Ich begann sichtlich zu schwitzen, doch der Soldat lachte nur und rief :,,Noch lange nicht!" Ganz entspannt zog er von dannen und fuhr die Strecke auf und ab. Ungewöhnlich. Bei Kilometer Sieben sah ich in der Ferne etwas Gelbes leuchten, das sich auf und ab bewegte. Fast so wie ein überdimensionaler Textmarker. Ha! Der Textmarker war ein Läufer! Ich zog das Tempo an und versuchte aufzuschließen. Tatsächlich kam ich ihm näher, da hörte ich hinter mir eine Gruppe von vier weiteren Läufern quatschen. Auch sie hatten beschleunigt und peilten eine Zeit von unter zwei Stunden an. Ich freute mich und ernannte sie heimlich zu meinen Pacemakern. Pro Kilometer liefen sie eine Zeit von 5:08 Minuten. Für vier Kilometer hielt ich mit, doch als sie schneller wurden bremste ich mich wieder, denn schließlich hatte ich noch zehn Kilometer vor mir.
Trotz der schnellen Kilometer ging es mir noch erstaunlich gut. Also bemühte ich mich meine Energie in möglichst große Schritte zu verlagern und gleichmäßig zu atmen. Schließlich wollte ich keine Seitenstiche provozieren. Ab und an kamen kleine Steigungen die ich mit langen Sätzen überwand um ja nicht langsamer zu werden. 
Bei Kilometer 16 sagte mir die Uhr 1:26 Stunden. Ich freute mich sichtlich, denn mein Ziel war es unter zwei Stunden zu bleiben und das würde ich wohl auch locker schaffen. Ich legte einen Zahn zu und fragte mich ob Papa wohl schon im Ziel war. In ein paar Jahren würde ich auch so schnell sein. Ganz sicher.
Nur zwei Kilometer vor dem Ziel stand Papa an der Strecke und schaute sich suchend nach mir um. Sein Blick verriet mir, dass er mich noch nicht erwartet hatte. Er lief mit mir und redete auf mich ein. Ab und zu spürte ich seine Hand in meinem Rücken. Also das mit dem ins Ziel schieben hatte er ein bisschen zu wörtlich genommen!
Papa redete sich den Mund fusselig, doch alles was ich hörte war ein dumpfes Surren. Sorry Papa, aber mein Stirnband war so dicht, ich hörte einfach so gut wie nichts.
Egal was er sagte, ich wusste, er wollte, dass ich beiße. Und das tat ich auch. Meine Beine brannten geradezu und mein Atem wurde schwer. Ich lief dagegen an und zwang jede Faser in meinem Körper alle Reserven rauszurücken. 
Ich lief und lief und sah schon von weitem die Soldaten. Ich rauschte an ihnen vorbei bis jemand ,,Halt!" brüllte. Den dünnen Kreidestrich auf dem nassen Asphalt, der die Ziellinie dar stellen sollte, hatte ich übersehen. Macht nichts. Trotz meiner schlechten Form, verbesserte ich meine Bestzeit um ganze fünf Sekunden.
Der Muskelkater ließ nicht lange auf sich warten. Und noch während meine Beine jammerten, plante ich schon den nächsten Halbmarathon.
Papa und ich holten unsere Urkunden ab und eierten zum Auto, als uns eine junge Frau ansprach:,, Entschuldigen Sie? Wissen Sie, ob hier auch normale Menschen parken dürfen?"
Ich lachte und humpelte davon.

Montag, 9. November 2015

Laufen macht schön

Die riesen Flatschen in Schuhgröße 41 platschen auf den Asphalt. Ich schnaufe. Mein Gesicht hat jedes Verständnis von Mimik verloren. Nur noch 200 Meter bis zum Ziel. Alles an meinem Körper, das sich nicht halten kann rutscht mit einem Ruck nach unten, der Sport BH hält auch nicht mehr was er verspricht. Geschafft! Bei 27:34 min fetze ich über die Ziellinie und lasse mich auf die Knie fallen. Der Schweiß brennt in meinen Augen. Ich stehe auf und schüttel mich. Oh ja ihr habt richtig gesehen, neue Bestzeit Freunde. Niemand guckt.

Ja, das bin ich. Ich bei einem meiner ersten Läufe vor einem Jahr. Schön nicht?
Als ich das Bild zum ersten Mal sah, wollte ich es löschen. Ich fand es hässlich und peinlich. Einfach furchtbar. Aber ich habe es gelassen und nach einem Jahr und nach über 30 Wettkämpfen weiß ich nun auch wieso. 
Laufen ist mehr als hübsche Selfies in hübschen Laufklamotten. Zwei von Zehn Bildern beim Laufen werden vielleicht gut. Und der Rest? Den Rest löschen wir, damit niemand sieht wie wir wirklich aussehen. Der Schweiß, die schmerzverzerrten Gesichter die sich nach Erlösung sehnen. Die Haut die einen Abgang macht. 
Laufen ist gnadenlos. Alle Kraft die wir haben verlagern wir in unseren Oberkörper um möglichst aufrecht zu sein, in unsere Beine um große Schritte machen zu können und in unsere Füße um uns abzustoßen. Da bleibt nicht mehr viel Energie für eine Kussschnute oder ein süßes Augenklimpern. 

Wir löschen die weniger schönen Fotos und vergessen dabei was sie wirklich zeigen.
Sie zeigen unseren Kampfgeist, unseren Ehrgeiz. Sie zeigen den Moment in dem wir über unsere Grenzen gehen und alles geben um neue Ziele zu erreichen. Wir wollen uns selber schlagen, wir wollen gewinnen. Wir wollen uns selber beweisen, dass wir es können. Ja, wir sind willensstark und voller Leidenschaft und unser Körper zeigt es mit jeder Faser, mit jeder Schweißperle und mit jeder Blase am Fuß.

Eine sehr gute Freundin von mir ist Krankenschwester und Mama von zwei Kindern. Sie läuft um Zeit für sich allein zu haben. Um abzuschalten und ihren Gedanken nach zu hängen. Das kann manchmal drei Stunden dauern. Sie hat eine wahnsinnige Ausdauer und das viele Laufen macht sich bei ihr bemerkbar. Sie sieht großartig aus. Einfach gesund und schön. 
Egal ob es Sommer oder Winter ist, sie trägt beim Laufen immer lange Hosen, weil sie sich mit ihren Beinen unwohl fühlt. Sie findet sie nicht schön.

Eine Arbeitskollegin von mir, läuft nur im Dunkeln, weil sie gar nicht erst beim Laufen gesehen werden will. Sie fühlt sich schlichtweg hässlich. Dabei ist sie eine junge, hübsche und vor allem schlanke Frau, die sich sehen lassen kann.

Ich würde sie beide gerne schütteln, ihnen die Hosenbeine abschneiden und ins Sonnenlicht schubsen. Ihr seid schön! Jeder Läufer ist schön, weil Laufen schön macht!
Jeden Schritt den wir tun, alles an frischer Luft die wir einatmen sorgt dafür, dass wir gesund sind und bleiben. 
Eine Klassenkameradin sagte letztens zu mir :,, In 10 Jahren wirst du aufwachen und merken wie lächerlich du mit deiner Lauferei bist!" Ich habe mich mit dem Gedanken beschäftigt und festgestellt, in 10 Jahren werde ich aufwachen und merken, dass mein biologisches Alter immer noch 23 ist.

Erst durch meine Lauferei, habe ich meinen Körper wirklich kennen gelernt. Habe erfahren wie sich Grenzen und Schmerzen anfühlen. Laufen ist ein Gefühl. Ein Lebensinhalt. Und wir sollten es für uns tun und uns gut dabei fühlen. Ganz gleich wie schnell oder wie weit wir laufen. Ganz egal ob kurze oder lange Hose, egal ob es hell oder dunkel draußen ist.

Laufen macht so viel mit unserem Körper, was uns gesund und fit hält, aber am meisten macht uns Laufen glücklich und jeder der schon einmal an einer Ziellinie stand, weiß, dass es nichts schöneres gibt, als das strahlende Gesicht eines glücklichen Läufers der gerade einen Kampf gewonnen hat.

Laufen ist eine Leidenschaft die kein Selfie der Welt einfangen kann.


Vielen lieben Dank an meinen guten Freund Francesco. Er hat mich, ganz unbewusst, mit diesem Foto auf die Idee für diesen Blog gebracht :)!




Donnerstag, 15. Oktober 2015

Laufen ist träumen mit den Füßen



Mein Mund schmeckt nach altem Kohl, pappig und fad. Ich drehe den Kopf, nur um festzustellen, dass mein Nacken weh tut. Langsam öffne ich meine Augen und schaue direkt in Florians Gesicht.
Er lacht:
,,Na, hast du vom Laufen geträumt?"
,,Ich weiß nicht mehr, was ich geträumt habe."
,,Deine Füße haben sich bewegt, als würdest du laufen!"
Mit einem langen Gähnen strecke ich mein zerknittertes Gesicht:
,,Ich bin doch kein Hund!"
Ich rolle mich wieder zusammen. Ein paar Minuten dösen gönne ich mir noch.

Vom Laufen träumen.
Als ich ein Kind war, habe ich immer davon geträumt fliegen zu können!
Ganz selten fühlten sich meine Träume so echt an, dass ich mir sicher war, ich konnte die Baumwipfel unter meinen Fingerspitzen spüren.
Die klare Luft atmen und mit den Zehen das Meer berühren.

Eines Tages war ich bei Papa. Ich stieg auf sein Bett und stellte mir vor ich könnte wirklich fliegen. Ich drückte mich mit aller Kraft ab, streckte die Arme in die Luft, blieb mit den Füßen im Laken hängen und knallte wie ein Brett nach vorne mit der Stirn zuerst auf den Boden. 
Ja, das Geschrei war groß. Papa kam gleich angerannt, holte aus der Küche eine Tüte tiefgefrorener Vollkornbrötchen und drückte sie mir an die Stirn.
Für zwei Tage war ich wohl das einzige echte Einhorn auf dieser Welt.

Wenn ich heute fliegen möchte, kletter ich nicht mehr auf ein Bett oder einen Kleiderschrank, springe nicht mehr von der Schaukel oder fahre ungebremst mit Rollschuhen auf Nachbars Böschung zu.
Wenn ich heute fliegen möchte, dann fordert das viel weniger blaue Flecken und Tränen. Heute schlüpfe ich lediglich in meine Laufschuhe.
Ich träume nicht mehr, ich tue es.
Ich laufe los, atme die klare Luft, spüre die kleinen Regentropfen, die auf meine Haut prasseln oder sauge die Wärme der Sonne in mich auf.
Ich laufe immer weiter, immer schneller. Am Wasser entlang, durch die Bäume, über Stock und Stein die Berge hinauf.
Mir ist kalt und gleichzeitig warm,
ich fühle mich geschwächt und gleichzeitig so unfassbar stark.
Meine Beine tragen mich über jedes Hindernis,
so als würde ich schweben.
Ich lasse mich von meinen Füßen durch die Welt tragen
und bewundere die Schönheit der Natur,
bewundere jedes Detail um mich herum,
Vögel, spielende Kinder, das Rauschen der Blätter, das Glitzern des Wassers.
Einfach alles ist so wunderbar.
Mein Körper tanzt zu der Musik der Welt.
Ich fliege.

Das Hupen eines Lkws holt mich zurück. Meine tägliche Runde ist vorbei und ich stehe wieder an der Hauptstraße und warte, dass es grün wird. Ich wische mir die Schweißperlen von der Stirn und spüre den Muskelkater der sich in meinen Beinen ankündigt. Ich stoppe meine Uhr und beschließe die letzten Meter nach Hause zu gehen.
Ich weiß nicht wie schnell ich war, ich weiß nicht wie hoch mein Puls war. Aber das alles spielt keine Rolle, denn was ich weiß, ist, dass ich fliegen kann. Wie hoch und wie weit, entscheide ich selbst.
Ich ganz allein. 




Montag, 5. Oktober 2015

Barfuß


In meinem Beruf als Schuhverkäuferin, habe ich jeden Tag mit den unterschiedlichsten Füßen zu tun. Senkfüße, Spreizfüße, Knickfüße, Plattfüße, Stinkefüße ... Die wenigsten haben von Geburt an solche Fußdeformationen. Ursache ist ganz einfach das Tragen von falschen Schuhen. Nun kann ich meinem Kunden schlecht sagen:,,Puh, Sie haben aber fiese Plattfüße!" Entweder versuche ich ihm ganz charmant ein Fußbett anzudrehen oder ich erzähle ihm, wie schön und gesund doch Barfuß laufen ist...

Der Mensch ist von Natur aus ein Läufer, ein Barfußläufer. Oder hast du schon mal gehört, dass Neandertaler ihr Mittagessen in rahmengenähten Budapestern gejagt haben? Na also. 
Durch das viele Barfuß laufen wird die Fußmuskulatur gestärkt. Ganz besonders dann, wenn man auf weichem Untergrund läuft, der sich dem Fuß anpasst, wie Waldböden, Sandstränden oder Wiesen. Nein, der Kölner Hauptbahnhof ist kein guter Ort dafür. Welcher Hipster sich das ausgedacht hat ist mir ein Rätsel.
Nun ist das leichter gesagt als getan, aber wenn du die Möglichkeit hast, dann nutze sie!
Ich glaube jeder der schon mal durch eine Taunasse Wiese oder durch den warmen Sandstrand gejoggt ist, kann das unterschreiben. Es ist einfach herrlich!

Meine Füße zumindest lassen es sich gerade am Strand von Grömitz gut gehen. Seit mehr als vier Wochen plagt mich eine gemeine Muskelzerrung im Oberschenkel und ich nutze jede schmerzfreie Bewegung aus die mich fit hält. Unter anderem das Laufen im Sand. Es ist anstrengend ja. Aber es macht super viel Spaß!
Also raus aus den Laufschuhen und los geht's! 

Dienstag, 29. September 2015

P- beWEGt


Mein zweiter P-Weg.
Vor ziemlich genau einem Jahr bin ich in Plettenberg meinen ersten Halbmarathon gelaufen. Den P-Weg. 21,1 km und 540 Höhenmeter. Der reinste Wahnsinn für eine blutige Anfängerin die zuvor nie weiter als 5 km gelaufen war. Damals habe ich für die Strecke 2:23:42 gebraucht. 2 Stunden, 23 Minuten und 42 Sekunden in denen meine Gefühle eine wahre Achterbahnfahrt durchlebten. Von Wut über Enttäuschung bis hin zur Verzweiflung habe ich alles empfunden nur damit mich am Ende das große Glück übermannte und ich lachend, mit Tränen in den Augen ins Ziel kam.
Ja, ich war vollkommen unvorbereitet, wusste nicht was mich erwarten würde. Dieses Jahr war das anders. Ich hatte viel trainiert, kannte die Strecke und war mir sicher ich würde das Ding locker rocken. Die Tatsache, dass ich im Rheinland nur im Flachen trainieren konnte, habe ich bis zu jenem Tag immer abgewunken. Meine Beine sind stark, ich schaffe das, habe ich gesagt.
Nun war es so weit. Ich holte meine Startunterlagen ab und kaufte mir in der Cafeteria nebenan einen Tee. Der tat unglaublich gut, denn draußen war es kalt und es regnete. Der dicht bewölkte, graue Himmel machte einem wenig Hoffnung auf Besserung. Die Marathonläufer taten mir leid, sie waren schon seit einer Stunde unterwegs. Der Weg im Wald wird rutschig sein.
Ich stöberte ein bisschen in dem Jutebeutel, den man mir bei der Startnummernausgabe gegeben hatte. Eine Flasche Wasser, Werbung, Werbung, Pflaster, Werbung, oh Pferdesalbe, wie praktisch! Werbung und ein Päckchen Magnesium. Ah, eine Trillerpfeife. Klar, die ist das wichtigste beim Laufen. Wer seine Nase frei machen muss, pfeift kurz und der Hintermann hat noch eine Chance dem Schnodder auszuweichen. Clever!
Ich schlürfte meinen Tee gerade aus, als mir eine Hand auf die Schulter klopfte:,, Na Kröte!" Papa war auch schon da und stellte mir Freunde von seinem Lauftreff den Spri(n)tis vor. Ein netter Haufen Läufer die jeden Kilometer mit einem Gläschen Sekt begießen. Macht Sinn, ich laufe schließlich auch nur so viel, damit ich auch viel Schokolade essen kann!
Während die einen Löcher für Kopf und Arme in Müllsäcke schnibbelten, schmierten Papa und ich uns mit Melkfett ein. Den Sinn dahinter weiß ich nicht mehr, aber ich glaube das war, damit der Regen von uns abperlt.
Die Läufer wurden im Start nach Nummern sortiert. Meine Startnummer war vierstellig. Wer denkt sich denn sowas beklopptes aus? Papa und ich taten so, als hätten wir das nicht gesehen und stellten uns weiter vorne hin. Noch ein paar Interviews mit den Favoriten, eine Tanzeinlage von ein paar Zumbamäusen und dann fiel auch schon der Startschuss.
Der erste Kilometer ging noch durch die Stadt, dann folgte ein steiler Berg der in den Wald hineinführte. Die Steigung klammerte sich förmlich um meine Oberschenkel. Auch als der Weg gerade wurde spürte ich noch die Anstrengung und hatte das Gefühl kaum vom Fleck weg zu kommen. Wir passierten rasch die erste 5 km Marke. Obwohl ich mir vorgenommen hatte auf der ersten Hälfte bei keinem Verpflegungsstand anzuhalten, holte ich mir schon beim ersten einen Becher Wasser.

Ich lief weiter und es fühlte sich an als würde es nur bergauf gehen. Selbst die geraden Strecken wurden zur Tort(o)ur. Meine Beine meckerten über jeden Anstieg und die Luft die ich krampfhaft versuchte einzuatmen erschien mir so unfassbar dünn. Ich war noch nicht mal bei der Hälfte und fing jetzt schon an zu kämpfen. ,,Ich dreh um!," dachte ich ,,Das macht doch alles keinen Sinn!" Ich ging ein paar Schritte und konnte nicht fassen, dass ich so kraftlos war. Wo war das ganze Training hin? Innerlich stritt ich mit mir. Umdrehen, weiterlaufen, kämpfen, aufgeben. Ich hätte mich am liebsten auf den Boden gesetzt, die Augen zugemacht und gewartet, dass mich jemand abholen kommt. Ich schüttelte mich, sah nach vorne, versprach mir selbst nicht zurück zu schauen, um auch ja nicht auf dumme Gedanken zu kommen, biss die Zähne zusammen und lief weiter. Aufgeben? Wo sind wir denn hier? Ich gebe doch nicht auf! So etwas gibt es bei mir nicht. So lange ich noch zwei gesunde Beine habe, werde ich in dieses Ziel laufen. Ganz egal wie lange ich brauchen werde. Und ich war mir sehr sicher ich würde langsamer sein als im Vorjahr. Ich lief und lief und konzentrierte mich auf die Bäume und die Sonne die ab und zu durch die dunklen Wolken durchblitzte. Erst da fiel mir auf, dass es schon lange nicht mehr geregnet hat. Kurz vor Kilometer 10 lief ich in ein Tal in dem Hunderte von Menschen warteten, jubelten, klatschten und unsere Namen riefen. Was wäre dieser Lauf nur ohne sie. Ich genoss den Moment und vergaß für einen kurzen Augenblick meine Schmerzen.
,,Alles okay?" Ich schaute in das Gesicht einer besorgten Frau. Offensichtlich, sah ich schon so aus wie ich mich fühlte. ,,Alles bestens!," log ich und versuchte freundlich zu lächeln. Während ich meine trockenen Lippen von den Zähnen schob, quatschte mich ein Läufer von der Seite an ,,Puh, der Berg war hart! Kommt da noch einer?" Einer? Süß. ,,Spar dir deine Energie! DER Berg kommt noch!"
Und er kam. Der Berg der mich im letzten Jahr die meisten Nerven gekostet hat. Er ist nicht besonders steil oder so. Aber er zieht sich in die Länge. Immer wenn man dachte ,,Jetzt ist aber mal Schluss!", ging es weiter hoch hinaus. Und so war es dann auch. Die nächste Stunde verging wie in Zeitlupe. ,,Es würde an ein Wunder grenzen, wenn ich das Ziel unter zweieinhalb Stunden erreichen würde", dachte ich. Ich stellte mich schon darauf ein, die Besenpferde hinter mir zu hören.
Die letzten drei Kilometer wurde ich erlöst. Es ging auf einem schmalen Pfad bergab. Der Boden rutschte unter mir weg und ich musste mich konzentrieren nicht hinzufallen. Der letzte Kilometer ging dann wieder durch die Stadt und ich machte große Schritte, weil ich einfach nur noch ankommen wollte. Die Leute klatschten und ich bemerkte bei jedem Auftreten ein unangenehmes Ziehen im Oberschenkel. Ich ignorierte es und lief weiter. Die letzten Meter. Geschafft! Nach 2 Stunden 16 Minuten und 17 Sekunden überquerte ich die Ziellinie und stand kurz darauf auf der Bühne. Der Moderator schaute mich sehr mitleidig an. Da bemerkte ich erst, dass ich weinte. Ich ging über die Bühne, ließ mir eine Medaille und ein Finisher Shirt geben. Papa kam direkt auf mich zu und ich ließ mich wie ein kleines Kind in seine Arme fallen und weinte. Auch wenn man es jetzt kaum glauben mag, aber vor Freude!
Papa und ich liefen zum Auto, als ihm seine Urkunde aus der Tasche fiel. Ich versuchte mich zu bücken, genau so wie der Mann neben mir. Und während wir so in Zeitlupe auf dem Boden rum krochen, schauten wir uns an und fingen laut an zu lachen. Zwei Senioren mit Rollator waren gar nichts gegen uns.
Die Muskelzerrung in meinem Oberschenkel, klingt heute noch, drei Wochen später, nach.

Donnerstag, 25. Juni 2015

Endstation Erdbeerlolli

,,Entschuldigen Sie bitte? Da ist so ein klitze kleiner Fleck auf dem Schuh, also wenn sie ganz nah ran gehen, da unten am Rand, da wo man es eigentlich nicht sieht. Kann man da noch was am Preis machen?" Mit diesem Satz hätte die Kundin es vielleicht versuchen sollen, stattdessen drückt sie mir den noch feuchtwarmen Schuh, den sie gerade stundenlang anprobiert hat ins Gesicht und sagt schroff:,, Da ist voll der Fleck auf dem Schuh, dafür bezahle ich nicht so viel Geld, für 20 Euro weniger nehme ich ihn vielleicht!" Ich seufze, lächle freundlich und bringe der Kundin ein neues Paar Schuhe. Noch bevor sie an diesem Schuh auch etwas gefunden hat was ihr nicht passt, habe ich den Laden schon verlassen. Feierabend. Man sagt doch immer man soll seine Probleme von der Arbeit nicht mit nach Hause nehmen. Also die Frau lass ich guten Gewissens zurück. 
Mit meiner Sporttasche und meiner Kollegin Denise im Schlepptau geht es ab nach Düsseldorf zum B2Run. Nach Düsseldorf selbst ist es nicht weit, aber der Weg bis zur Esprit-Arena zieht sich in die Länge. Nach und nach steigen Leute mit Startnummern in die Bahn ein. Gut wir sind schon mal richtig. An der Arena angekommen treffen wir sämtliche Görtz-Mitarbeiter aus der Region und die Geschäftsführung aus Hamburg. Sie alle laufen mit. Wir stellen einander kurz vor und gehen zusammen zum Eingang der Arena. Dort werden unsere Taschen einzeln durchsucht ob wir auch ja keine Waffen, Drogen, Bomben, Walking Stöcke usw. dabei haben. Das dauert, schließlich wollen mindestens 9.000 Menschen in die Arena. Wir schlängeln uns durch die Leute bis zur Garderobe durch, geben unsere Taschen ab und machen uns startklar. Wir haben nicht viel Zeit, schnell zwei Fotos geschossen und dann stehen wir auch schon im Startblock. Wir machen uns bereit, doch statt dem Startschuss hören wir nur ein ,,Wuhuuu, seid ihr auch alle gut drauf?" Nein, bitte nicht! Auf einer kleinen Hebebühne wird eine noch kleinere Fitness-Tante aufgefahren. Fröhlich hüpft sie auf und ab, macht Hampelmänner und quiekt munter in ihr Mikrofon. Und alle hüpfen mit! Nicht. 
Die Läufer stehen eng beieinander und schauen sich ratlos an. Manche versuchen ein bisschen mitzuhüpfen, aber es ist so voll, man kann sich ja kaum um die eigene Achse drehen. Also lassen sie es lieber. Die Tante ruft den Zuschauern zu sie sollen uns doch zu jubeln. Die fünf Leute die am Rand stehen schauen etwas unbeholfen, zucken mit den Schultern und klatschen ein zwei mal in ihre Hände. Gut, das war wohl nichts. Ein bisschen tut sie mir ja leid. 
Endlich wird runtergezählt und der Startschuss fällt. Wir laufen los und es folgt ein dichtes Gedränge und Geschubse. Ich ignoriere das und laufe ganz entspannt, soll ja Spaß machen so ein Lauf.
Es geht 6,1 Kilometer am Rhein entlang. Es ist kühl und ein bisschen diesig. Das perfekte Laufwetter wie ich finde. Die Zeit vergeht schnell und eh ich mich versehe stehe ich wieder in der Arena im Ziel. Ich frage mich ob schon welche von unserem Team da sind und gehe zu unserem abgesprochenen Treffpunkt. Zwei Kollegen aus Aachen und der Geschäftsführer von Görtz sind schon da. Wir unterhalten uns kurz, trinken ein alkoholfreies Bier und trennen uns dann auf dem Weg zur Garderobe. Garderobe klingt so nett. In Wirklichkeit gab es die gar nicht und ich quetschte mich mit meiner Tasche in eine Toilette.
Wieder in der Arena angekommen, sind auch schon die anderen Kollegen da. Ich organisiere einen Bündel Teilnehmermedaillen und verteile sie an alle. Wir müssen noch auf den Rest der Truppe warten und verfolgen währenddessen die Siegerehrung. Die schnellsten Azubis werden geehrt. Die Drittschnellste hat 30 Minuten gebraucht. Momentchen Mal! Ich habe 29 Minuten gebraucht. Mein Name wird nicht genannt.
,,Man konnte bei der Anmeldung gar nicht angeben, dass Sie Auszubildende sind! Das tut mir leid!" Meine Kollegin schaut mich enttäuscht an. ,,Alles gut, das macht nichts!", sage ich lächelnd. Wer braucht schon einen Urlaubsgutschein. Gerade als wir gehen wollen sagt Mr. Görtz zu mir :,,Wissen Sie was? Sie bekommen von mir ein paar Laufschuhe geschenkt und nächste Woche lade ich Sie nach Hamburg ein und dann laufen Sie mit uns da noch mal den B2Run!"
Mein Lächeln wird breiter. Ja, damit kann ich wohl leben!


Mit dem Taxi fahren wir alle zusammen in ein Brauhaus und lassen uns die leckersten Sachen schmecken. Ich bestelle mir einen großen Salat mit Rote Beete und Pilzen. Super!
Als mein Bauch voll und es schon recht spät ist, verabschiede ich mich von allen. Schließlich muss ich am nächsten Morgen zur Schule.
Meine Kollegin sagt mir, dass der Zug der nach Aachen fährt, in Köln halten würde. Prima, denn gerade als ich am Hauptbahnhof in Düsseldorf ankomme, fährt ein Zug Richtung Aachen ein. Ich steige ein, lasse mich auf einen Sitz fallen und lasse den Tag Revue passieren. 
Eine halbe Stunde später wunder ich mich, dass die Ansage noch nicht einmal Köln erwähnt hat. So langsam müsste ich doch da ankommen. Statt Köln wird ein Ort genannt den ich noch nie gehört habe. Auf dem Platz gegenüber sitzt ein Typ, den frage ich. ,,Nach Köln? Nein der fährt jetzt nach Aachen durch, um halb eins sind wir da!" Okay keine Panik. Aachen. Ich wohne aber in Köln! Mein Handy hat nur noch 7% Akku. Okay Panik! War ja klar. Das Datenvolumen ist natürlich auch aufgebraucht. Mit schwachem GPS-Signal finde ich heraus, dass der nächste Zug von Aachen nach Köln um halb vier fahren würde. Na toll, so etwas passiert auch nur mir! Noch 4% Akku.
Glücklicherweise wohnt mein Bruder in Aachen in der Nähe vom Hauptbahnhof. Peinlich berührt rufe ich ihn an und erzähle ihm was passiert ist. Nach einem zwei Minütigen Lachen, 5 Mal ,,Nein, echt jetzt?" und 10 Mal ,,Ach Katharina!", bietet er mir dann an zu sich zu kommen um auf den ersten Zug nach Köln zu warten.
Und das mache ich dann auch. Seine Freundin hatte mir Bettzeug und einen Cola-Lutscher auf das Sofa gelegt und so erschöpft wie ich bin schlafe ich auch direkt ein. Nach zwei Stunden Powernapping, schäle ich mich aus der Bettdecke, nehme meinen Lolli und schleiche zur Wohnungstür. Bevor ich die zu ziehe, flitze ich noch einmal in die Küche zum Süßigkeitenschrank. Ich mag lieber Erdbeergeschmack.
Mit dem Lolli im Mund spaziere ich durch die leeren, dunklen Straßen von Aachen und setze mich am Hauptbahnhof in den Zug nach Köln.
Die Fahrt dauert eine Ewigkeit und ich schrecke immer wieder hoch, weil ich nicht einschlafen will. Um halb sechs bin ich dann endlich zu Hause. Ich schlüpfe zu meinem Freund unter die Bettdecke und wärme mich auf.
In 25 Minuten würde mein Wecker klingeln.

Sonntag, 21. Juni 2015

We are the Sun

,,Sorry, wartet ihr schon lange?", ich kletter auf die Rückbank von Julias kleinem Auto, ,,Nein, alles gut, wir haben noch ein Eis gegessen!" Klar was macht man auch sonst um 22 Uhr.
Ich schiebe meine Sporttasche neben mich und bemerke ein paar lange, dünne Finger in meinem Gesicht. Ich ertappe mich dabei wie ich erschrecke, als diese Finger anfangen zu sprechen ,,Hi, ich bin Nikki!" Ich schiele zum Beifahrersitz und sehe in das strahlende Gesicht eines jungen, rothaarigen Mannes.  
Es dauert nicht lange bis das Eis gebrochen ist. Nikki ist ein Läufer! Einer von der ganz schnellen Sorte. Er kommt aus Schottland und ist Sportlehrer. Außerdem hatte er Julia versprochen uns am morgigen Tag beim EVL-Halbmarathon in Düsseldorf zu begleiten, damit wir die 21,1 km unter zwei Stunden schaffen.
Und, das ist wohl das tollste, Nikki ist Asics Frontrunner. Ich habe mich schon im Voraus aufrichtig für die vielen Fragen beim ihm entschuldigt. Während Julia uns allen Pasta mit Gemüse und Tomatensauce zaubert unterhalten wir drei uns angeregt über die Frontrunners. So angeregt, dass wir die Zeit vergessen. Als wir bemerken wie spät es ist, legen wir schnell noch unsere Outfits für den Wettkampf zurecht, wünschen uns eine gute Nacht und schlüpfen unter die Decke. Wecker auf Fünf Uhr, Puh!
Vier Stunden später, wobei ich schwören könnte es waren nur vier Minuten, drehe ich mich in Julias 5-Meter-Boxspringbett zu ihr um und schiebe ein Auge nach dem anderen auf. Natürlich ist das Bett auf ihrer Seite schon perfekt gemacht und niemand liegt drin. Also schleppe ich mich aus dem Zimmer und folge dem warmen Duft von Brötchen in der Küche. ,,Möchtest du Kaffee? Ich mag morgens am liebsten Marmelade und Honig auf dem Brötchen, ist das ok für dich?" Man beachte das Zielfoto unten, ich verspreche euch, genau SO hat sie mich dabei angeschaut!
Ich bin begeistert, die kurze Nacht ist schnell vergessen. Nach dem Nikki sich dann auch mal vom Sofa lösen konnte, hauen wir uns die Bäuche voll und machen uns fertig für den Lauf. Kurze Zeit später sind wir auf der Autobahn auf dem Weg nach Düsseldorf. Nikki dreht die Musik auf und wir versuchen uns noch ein wenig zu entspannen und den Kopf frei zu bekommen. Mein zweiter Halbmarathon. Ein bisschen Herzrasen hab ich schon.
Julia hatte unsere Startunterlagen schon ein paar Tage vorher besorgt, deswegen können wir die Zeit bis zum Start damit verbringen, gefühlt 100 mal auf die Toilette zu gehen, weil wir so unfassbar aufgeregt sind. Als der Startschuss immer näher rückt, gehen wir ein letztes Mal zum Auto um unsere Jacken weg zu bringen. ,,Ich hab noch eine Kleinigkeit für euch", sagt Nikki und hält uns zwei blaue Sonnenbrillen hin. Jeder der Nikki kennt weiß, dass er bei jedem seiner Wettkämpfe eine grüne Sonnenbrille trägt, passend zu seinem immer grünen Lauf-Singlet.

Julia und ich freuen uns und scheren uns nicht eine Sekunde darum, dass die Sonne ja gar nicht scheint. Wen interessiert es ob wir was sehen können. Hauptsache wir sehen cool aus! 
Noch schnell auf das ,,geliebte" Dixi-Klo und dann ab in die Meute!
Meute ist untertrieben, sagen wir die ganze Welt hat sich versammelt um einer Apokalypse zu entkommen. 
Wir bekommen gar nicht mit, dass der Startschuss fällt, wir sind viel zu sehr damit beschäftigt einen Platz in der Menge zu finden. Wir drängen uns immer weiter rein. Allmählich kommt Bewegung in die Sache und ich muss aufpassen, dass ich Julia und Nikki nicht verliere. Wir traben los und nach 500 Metern schaut Nikki auf seine Uhr und verkündet stolz ,,Wir sind gut in die Zeit Ladies!" Ich grinse, ja er nimmt seinen Job als Pacemaker sehr ernst! . 
Die ersten fünf Kilometer laufen wir locker durch. An der Strecke stehen so viele Menschen, ich bin viel zu sehr beschäftigt mit gucken und jubeln. Ja ich weiß, ich soll laufen und nicht rumhampeln. Papa schimpft immer, dass mich das zu viel Zeit kostet. Aber mal ehrlich, das soll hier doch Spaß machen, oder? Und wer zwei Stunden für einen Halbmarathon braucht, der hat auch noch die ein oder andere Sekunde zum winken übrig!
Ich warte die ganze Zeit darauf, dass sich das Feld auseinander zieht, aber es sind so viele Leute auf der Strecke, dass man permanent von einem kleinen Pulk von Läufern umschlossen ist. Es wird ganz ruhig. Da ruft plötzlich jemand ,,Na los Prinzessin!" Dieser jemand ist in Julias Laufverein und zieht mit langen Schritten an uns vorbei. 
,,10 km unter einer Stunde, sehr gut Ladies! Julia, du sollst nicht gucken auf die Uhr!"
Während Nikki mit Julia schimpft, weil sie immer wieder auf die Uhr schaut, nutze ich die Gelegenheit und schiele heimlich auf meine. Die Zeit ist super, wenn wir so weiter machen, schaffen wir es locker unter 2 Stunden. 
Ich fühle mich noch erstaunlich gut. Ein Blick von Julia zeigt mir, sie auch.
 Zwischendurch organisiert uns unser Pacemaker an den Verpflegungsstationen etwas zu trinken. Das tut gut. Gummibärchen gibt es auch. Nikki genießt es sichtlich mal zwischen den vielen Läufern zu sein, statt vorne an der Spitze, wie er so schön sagt, weg zu ballern.
18 Kilometer sind geschafft. Wir drei sind richtig schön im Flow, da bemerkt Julia, dass uns bei Kilometer 19 noch ein gemeiner Berg erwartet. Also Pobacken zusammen kneifen und rauf da! Diese Steigung hat es ganz schön in sich. Puh! Als ich merke, dass alle sehr langsam joggen mache ich zwei große Schritte im Gehen. Doof von mir. Denn unserem Sportlehrer bleibt das nicht unbemerkt. ,,Heb die Füße!" Ja Chef! Hoch die Füße, rauf den Berg.
Oben angekommen, atmen wir erleichtert durch und stehen gleich vor einer Verpflegungsstation. Wir bleiben kurz stehen und trinken so viel wie wir nur können. Gestärkt laufen wir weiter. Nur noch zwei Kilometer und wir haben es geschafft! Wenn man schon 19 Kilometer hinter sich hat, kommen einem zwei wie ein Witz vor. Wir lassen uns einfach nur rollen und genießen die Stimmung, denn an der Strecke stehen nun auch wieder mehr Zuschauer die uns zujubeln. 
Die Meter fliegen unter uns hinweg. Hinter der nächsten Kurve ist das Ziel. Die letzten Meter gehen leicht bergab. Jemand ruft ,,Nikki, du Gentleman," und macht ein Foto. 
Nikki greift nach unseren Händen, reißt sie hoch und wir schweben strahlend vor Glück und Erleichterung über die Ziellinie.
2:03:33 h. 
Wir haben unser Ziel vielleicht nicht ganz erreicht, aber wir hatten eine Menge Spaß zusammen, hatten viel zu lachen und gelohnt hat es sich allemal! 
Wir fallen uns glücklich in die Arme. Geschafft!
Das wird nun mit einem kühlen Getränk und einer schönen Pommes gefeiert!

Montag, 8. Juni 2015

Man kann nicht immer gewinnen

Dieses Jahr habe ich es leider nicht auf das Siegertreppchen geschafft. Nun gut was will man bei solchen Zeiten erwarten?
Aber  ganz egal ob man ein Hobbyläufer ist der 24 Minuten braucht oder ein Profiläufer ist der das Ding in 16 Minuten vernascht, man weiß nie was kommt. Und vor allem wer kommt. Da wiegt man sich in absoluter Sicherheit, sieht sich schon auf dem Treppchen stehen und dann bauen sich da die Schnellsten der Schnellen vor dir auf. So wenig wie möglich an, damit man auch nicht einen Muskel an ihrem Körper verpasst, zuppeln ihre Startnummer zurecht damit der Sixpack auch frei liegt, rücken ihre 200 Euro Sonnenbrille gerade, die der Kopfform natürlich optimal angepasst wurde und dann, und das ist wohl das Einzige an ihrer Ausstattung das etwas wiegt, geht das Gepiepse auf ihrem überdimensionalen Bordcomputer los damit sie während des Laufs auch ja nichts verpassen! Pace, Zeit, Geschwindigkeit, Kalorienverbrauch, Trittfrequenz, Herzfrequenz, Luftdruck, Temperatur, Eisprung... und dann geht es los. Der Startschuss fällt und die Gazellen fliegen davon. Ich stehe immer noch vollkommen irritiert in ihrer Staubwolke und versuche meinen Husten zu kontrollieren. Nun setzen sich auch meine Beine in Bewegung. Links, rechts, links, rechts, na das klappt doch ganz prima und das ohne den ganzen Schnick Schnack!
Ein paar hundert Meter weiter steht Papa an der Strecke, er begleitet mich während des Laufes um mich ein bisschen zu ziehen oder vielleicht auch um mich vom Asphalt zu kratzen, falls ich die Hitze nicht überlebe. Wahnsinn ist das warm! Ich kneife die Augen zusammen, so eine super Sonnenbrille wäre jetzt nun wirklich nicht verkehrt, ich sehe kaum etwas. Moment mal! Ist das nicht mein T-Shirt? Und der Typ der da drin steckt, ist das nicht mein Freund? Wann ist der denn schneller geworden als ich? Oder bin ich langsamer geworden? Wie sich später rausstellte.. beides war der Fall.
Wir laufen durch Sandhügel, ein paar Meter über eine Bahn und dann durch den Wald und dann wieder über einen Parkplatz auf die Straße. Wären nicht so viele Läufer um mich herum hätte ich schwören können ich hätte mich verlaufen.
Papa läuft gemütlich die Zeit die ich laufen sollte, also weit vor mir. Ab und zu lässt er sich zu mir zurück fallen und jammert:,, Du musst schneller werden, allmählich wird mir langweilig!"
Keuchend versuche ich ihn in die Seite zu boxen, aber Kraft ist für meine Ärmchen im Moment ein absolutes Fremdwort. Schneller werden? Ich weiß ja gar nicht wie schnell ich gerade bin und bei welchem Kilometer wir sind weiß ich auch nicht. Papa will mir das ja nicht sagen. Sowas beklopptes! Wo sind die Flitzepiepen mit ihren Zeitmaschinen?
Ich schaue an mir runter und sehe meinem Bauch zu wie er im Takt mit schwingt. So ein paar Muckis könnte ich schon vertragen. Wenn ich könnte würde ich seufzen, aber dafür fehlt mir der Atem.
Vor mir bleibt ein Typ in meinem Alter stehen, verschnauft, rennt wieder los und voll in mich rein. Na toll, der Lauf ist für mich mehr als gelaufen.
Als ich aufs Ziel zu laufe ist Papa schon längst verschwunden und ich kämpfe mich die letzten paar Meter durch.
Meine Zielzeit weiß ich nicht mehr, denn ich habe weder auf die Uhr geschaut noch tauche ich auf der Ergebnisliste auf. Ganz so als hätte ich bei diesem Lauf nie existiert. Aber wer weiß wofür das gut ist!

Samstag, 6. Juni 2015

Heiße Suppe & Siegertreppchen


Ich kann nicht klar denken. Meine Gedanken rasen an mir vorbei, verursachen Chaos in meinem Kopf. Ist meine Haltung ok? Sind meine Schritte groß genug? Wieso tue ich das hier überhaupt? Der Schweiß läuft mir in die Augen. Kein Wunder, dass man mich in der Schule wegen meiner großen Stirn gemobbt hat, unglaublich was sich da alles ansammeln kann.
Ich kneife die Augen zusammen, das gleißende Licht der Sonne macht es mir kaum möglich geradeaus zu schauen. Meine Beine schmerzen. Ich schalte auf Autopilot die machen das schon. Ich konzentriere mich auf meinen Atem. Die Hitze schnürt meine Lunge zusammen. Wo sind denn nur alle? Ich kann vor mir weit und breit niemanden sehen. 
Ein paar Meter weiter tauche ich unter den Schatten von Bäumen unter. Ich atme tief durch, aber viel kühler ist es hier auch nicht.
An der nächsten Kurve steht eine Frau die fröhlich ruft:,, Toll! Sie sind die dritte Frau!"
Wie bitte? Mit meinen Amateurzeiten? Niemals. Die gute Dame hat sich verzählt. 
Noch vor zwei Wochen lief ich die 5 km in Refrath in 26 Minuten. Ich bin eben eine blutige Anfängerin. Niemand der jetzt schon auf dem Treppchen steht.
Mit meinem Handrücken wische ich die heiße Suppe von meiner Stirn und scheuche mich selbst weiter voran. Wieder stehen am Rand Streckenposten und wieder rufen sie:,, Wow! Die dritte Frau!" Ich drehe mich um, aber ich seh niemanden hinter mir! Meinen die wirklich mich? Das muss ein Irrtum sein.
Die Kraft in meinen Beinen lässt mich im Stich. Die Hitze macht mir zu schaffen. Ein Mann holt mich ein und motiviert mich nicht schlapp zu machen wir hätten es schon bald geschafft. 
Der letzte Kilometer ist ein einziges Wirrwarr aus Kurven. Nach jeder glaubt man am Ziel zu sein. Man hört schon die Menschen, sieht aber nichts. Und dann. Geschafft! Ich sehe das Ziel und versuche mich ein letztes Mal zusammenzureißen. Am Rand steht Papa und wedelt mit den Armen. Was ruft er da? Er winkt mit den Armen Richtung Uhr und als ich ihnen folge, traue ich meinen Augen nicht, 24:20 Minuten! ,,Wie geil ist das denn?" Die Leute am Ziel drehen sich zu mir und jubeln. Habe ich das etwa laut gesagt? Habe ich.
Lachend und mit aller Energie die ich noch aufbringen kann, renne ich bei 24:32 Minuten über die Ziellinie. War ich doch die dritte Frau? Wahnsinn.
Vollkommen erschöpft lege ich mich auf die Wiese und trinke so viel ich nur kann. Papa ist als nächstes dran. Während ich auf die Siegerehrung warte startet er bei dem 10 Kilometer-Lauf. 
Und dann ist es soweit. Nach dem ich mich frisch gemacht und umgezogen habe, gehe ich zur Bühne und sehe mir die Siegerehrung an in der Erwartung jeden Moment meinen Namen zu hören. Die ersten drei Männer werden geehrt, nun sind die Frauen dran. Die erste Frau taucht nicht auf, dann kommt die Zweite und die....Dritte. Ich stehe vor der Bühne und lasse mich zurück auf die wackelige Bierbank fallen. Aber ich dachte... nun gut. Die Damen auf der Strecke haben sich wohl wirklich vertan.
Ich gehe zurück zum Ziel und empfange meinen Papa, der trotz der Hitze auch eine neue Bestzeit und den ersten Platz in seiner Altersklasse erzielt hat. Super! Ich bin stolz auf ihn. 
Zu Hause angekommen feier ich mit meinem Freund und einer großen Pizza meinen vierten Platz und meine neue Bestzeit nichtsahnend, dass die erste Frau die bei der Siegerehrung nicht auftauchte, ein 16-Jähriger Junge war. 

Das ist nun genau ein Jahr her. Jeder der schon mal an einem Wettkampf teilgenommen hat wird wohl nachvollziehen können wie traurig es ist, wenn man bloß wegen eines Missverständnisses nicht an der Siegerehrung teilnehmen darf. Doch was nützt mir mein Gejammer? Das macht mich auch nicht schneller. 
Also habe ich trainiert und trainiert und ich sage euch. Morgen, wenn dieser Lauf wieder stattfindet, werde ich antreten und ich werde alles dafür geben um wieder unter die ersten Drei zu kommen und dann bekomme ich meine Siegerehrung!